Für eine weiblichere Landwirtschaft

Noch immer haben mehr als die Hälfte der Bäuerinnen keine eigene AHV-Abrechnung und zahlen nicht in die 2. Säule ein. Nur ein Drittel der Frauen in der Landwirtschaft sind (Mit-)Eigentümerinnen des Betriebs. Nur 9% bewirtschaften einen Betrieb allein. Keinen Lohn ausbezahlt zu bekommen, bedeutet nicht nur Gratisarbeit zu leisten, sondern auch kein Anrecht Mutterschaftsurlaub zu geniessen und im Falle einer Scheidung, die jahrelang geleistete Arbeit nicht beweisen zu können. In der lange aufgeschobenen Agrarpolitik 22+ soll nun endlich die soziale Absicherung für Bäuerinnen als Voraussetzung für Direktzahlungen verankert werden. Ein wichtiger Schritt, der spät kommt und längst nicht alle Probleme löst.

Denn: Die soziale Absicherung ist nur einer von vielen Aspekten, die Bäuerinnen beschäftigen. Vier Erfahrungsberichte über Alltagsfreuden, Diskriminierungserfahrungen und politische Forderungen. 

Nadia Graber, Biohof Obere Wanne, BL

Auf unserem Hof, in unserem Boden, in den Hecken, auf den Feldern und bei unseren Produkten die grösstmögliche Vielfalt zu fördern und regenerative Wirtschaftsweisen zu implementieren, macht mir grosse Freude. Wir Bäuerinnen mit unseren Familien können Teil der Lösung für viele aktuell existentielle Fragen auf unserem Planeten sein und dies stimmt mich zuversichtlich und schmälert das Ohnmachtsgefühl, das mich packt, wenn ich über unseren Hof hinausschaue. 

Ich wünsche mir ein breites und konsequenteres Einstehen seitens der Bevölkerung für landwirtschaftliche Produkte, die lokal, ökologisch, fair und zukunftsfähig produziert werden. Wir Bäuerinnen und Bauern wollen von unseren Produkten leben können und die Wertschöpfung auf unseren Höfen behalten. Die zum Teil krassen Margen des Handels müssen unterbunden werden. 

Wir haben an vielen Orten dieser Welt in der Landwirtschaft leider immer noch ausbeuterische Arbeitsbedingungen, damit wir hier im Norden von billigen Produkten und von einem ganzjährigen Angebot an Früchten und Gemüse, Getreide, Kaffee, Schokolade, usw. profitieren können. 

Die Landwirtschaft wird langsam, aber stetig sichtbar weiblicher und das ist wichtig. In der landwirtschaftlichen Grundbildung, an der HAFL, als Betriebsleiterinnnen und Hofbesitzerinnen sind Frauen im Vormarsch. Ich wünsche mir, dass der Tag bald kommt, an dem es selbstverständlich ist, dass eine Frau auf dem Traktor sitzt. Dass auf den Höfen kein Erstaunen aufkommt, wenn die Betriebsleitung weiblich und kompetent ist. 

Donata Clopath, pensionierte Bäuerin, GR

Ich habe während meiner Arbeit als Landwirtin immer wieder Diskriminierung aufgrund meines Frauseins erlebt, jetzt bin ich pensioniert. Früher war man schlicht noch viel wenig an Betriebsleiterinnen gewöhnt. Ich musste mir so manches Mal einen Anwalt nehmen, zum Beispiel, um auf meine Weiderechte zu bestehen. Andererseits hat diese Diskriminierung für mich auch eine Art Narrenfreiheit bedeutet. Ich hätte noch so schöne Rinder züchten können und niemand hätte mir das als Frau anerkannt. Das hat mich aber auch stark gemacht. 

Wir brauchen unbedingt mehr feministisches Bewusstsein – ein Bewusstsein für unsere Mutter Erde. Das Weibliche, das Weiche kommt heute nur noch unter die Räder und wird politisch kaum noch beachtet! Auch die «Miss-Schöneuter»-Unkultur, wo der Sexismus auch in der Tierhaltung offen zutage tritt, muss sofort aufhören.

Biobäuerin (anonym), BE
Mich belastet das ständige Kämpfen dafür, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht noch ganz unter die Räder der Agrarindustrielobby kommt, beispielsweise durch neue Gentech-Verfahren. Zusätzlich dazu bin ich einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt und habe Angst, in ein Burnout zu rutschen. Mir bereitet es zwar Freude, wenn junge Menschen auch aus ideologischen Gründen in die Landwirtschaft einsteigen. Es ist aber schwierig, gute Mitarbeiterinnen zu finden und Verantwortung abzugeben, weil kaum Bio-Fachkräfte verfügbar sind. Es wird an den Schulen schlicht viel zu wenig gelehrt. 

Hinzu kommen viele und sinnlos erscheinende Bürokratieaufgaben: Das Direktzahlungssystem wird immer undurchschaubarer, die Stellenmeldepflicht erschwert das Anwerben neuer Mitarbeiter*innen, es gibt unzählige Kontrollen von x-Stellen für die Arbeitssicherheit, die Hygiene, Labels… Diese Bürokratie muss verringert werden. Es kann nicht sein, dass sie einen so grossen Teil unserer Arbeit ausmacht und man bei anderen Firmen komplett wegschaut – Stichwort Konzernverantwortungsinitiative.

Nachhaltige Landwirt*innen sollten sich besser vernetzten im Kampf für ihre Anliegen. Das Problem ist, dass es oft an Zeit fehlt. Ausserdem sollten Lebensmittelpreise der Realität angepasst werden. Konsument*innen müssen dafür sensibilisiert werden, mehr zu zahlen. Fürs Handy gibt man sinnlos Geld aus, aber das Gemüse darf nichts kosten – das geht nur auf dem Rücken der Arbeiter*innen!

Ulrike Minkner, Biobäuerin Berner Jura

Als Bäuerin frage ich mich häufig, wohin uns diese krisengeschüttelte Zeit bringen wird. Manche sagen, Kriege und Notzeiten gab es schon immer, aber meistens waren sie weit weg von uns. Viele Unternehmen, auch die Grossverteiler, profitieren von diesen Krisen. Dann hoffe ich, dass die Jungen nicht verzagen, dass sie sich wehren, dass sie sich nicht vereinnahmen lassen von der Konsumwelt, nicht einlullen lassen von dem getriebenen Wahn von immer grösser, immer mehr, immer schneller. Mich stimmt es hoffnungsfroh, wenn ich junge Menschen in der Erde graben sehe und ihre Ernsthaftigkeit spüre, sich den Problemen zu stellen.

Wir müssen uns ändern. Wir müssen gemeinsam überlegen, was uns wichtig ist. Lebensmittel und Nahrung sind wichtig. Dafür braucht es gesunde Böden und Bäuerinnen und Bauern, die diese Böden bewirtschaften. Unsere Forderung muss deshalb heissen: Regionale Kreisläufe, gesunde, bezahlbare Lebensmittel für alle – und kostendeckende Preise für uns Bäuerinnen und Bauern.

Katharina Schatton, politische Sekretärin der Bäuerinnen- und Bauernorganisation Uniterre. Wir setzen uns ein für eine bäuerliche und nachhaltige Landwirtschaft mit kostendeckenden Preisen ein! Unterstütze uns mit einer Mitgliedschaft: www.uniterre.ch