«Nichts muss perfekt sein, um gut zu schmecken»

2.8 Millionen Tonnen Foodwaste verursachen alle Akteure der Lebensmittelkette jährlich in der Schweiz. Eine unvorstellbare Menge. Das Ganze in 150 000 Lastwagen gefüllt, wird das Ausmass schon fassbarer. 330 kg pro Einwohner*in. Nun organisieren erstmals Engagierte in Biel ein Foodsave Bankett, um dieses Gesellschaftsphänomen zu thematisieren und vor allem auch um aufzuzeigen, was sich aus dem, was wir in den Auslagen gar nie zu Gesicht bekommen, Leckeres zubereiten lässt. 

Am 23. September steigt auf dem Robert-Walser-Platz hinter dem Bahnhof das erste öffentliche Bieler Foodsave Bankett inklusive kleiner Bar und kulturellem Rahmenprogramm. Mit im OK dabei sind Samantha Hübscher, Umweltberaterin und Köchin in der Tagesschule Leubringen, sowie Camille Poirier, Bibliothekarin und Freiwillige bei Robin Food. Sie erzählen, was ihnen Lebensmittel bedeuten und warum sie sich für deren Wertschätzung und gegen Verschwendung einsetzen. 

Was erwartet uns diesen Herbst am Foodsave Bankett? 

Samantha: Es gibt ein Apéro und ein 3-Gang-Menü aus geretteten Lebensmitteln, vornehmlich Gemüse zweiter Qualität, das nie auf den Markt kommen würde. Auch in der Lebensmittelindustrie fallen Chargen mit Fehlern an, die nicht verkauft werden können. Mal schauen, was uns da so zufallen wird. Wir müssen unsere Planung offen halten, um auf das reagieren zu können, was im September dann auch wirklich gerettet werden sollte. 

Camille: Ziel des Foodsave Banketts ist, die Leute für das Thema zu sensibilisieren, für die unglaublichen Mengen an Lebensmitteln, die weggeworfen werden; das sichtbar zu machen, einerseits auf den Tellern, andererseits in Form von Zahlen und Fakten auf Infotafeln und Tischsets, die wir von foodwaste.ch bekommen. 

Nicht zuletzt geht es auch darum, dass sich die verschiedenen Akteur*innen auf dem Gebiet des Foodsave kennen lernen. Es machen viele lokale Vereine und Freiwillige mit: Friendly Kitchen, Robin Food, Stadt ernähren, Pfadi Orion, langSamer… 

Was ist eure persönliche Motivation, euch für diesen Anlass ins Zeug zu legen? 

Camille: Ich koche und esse sehr gern und finde es schlimm zu sehen, wie zum Beispiel ein Rüebli, in das viel Arbeit gesteckt wurde, am Ende weggeschmissen wird, nur weil es krumm gewachsen ist. Durch mein Engagement bei Robin Food, wo wir ausrangierte oder abgelaufene Lebensmittel bei Grossverteilern holen und sie in öffentlichen Kühlschränken zur Verfügung stellen, sehe ich die Mengen, die weggeworfen werden. Ich möchte etwas dagegen machen. Ein Bankett finde ich eine schöne Art, den Leuten das Thema zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass manche danach, im Laden nicht mehr immer nur die schönsten Äpfel nehmen. 

Samantha: Ich bin dabei, weil ich gerne solche Events organisiere, mit denen viele Leute zu einem Thema zusammengebracht werden können. Als Köchin möchte ich aufzeigen, dass nichts perfekt sein muss, um fein zu sein, dass wir die Ressourcen nutzen sollten: das Gemüse, die Früchte, in die viel Arbeit, Zeit und Energie gesteckt wurden. Es kann nicht sein, dass die Produzent*innen am Ende leer ausgehen, nur weil das Wetter nicht mitgespielt hat. 

Wie seid ihr eigentlich auf das Thema gestossen? 

Samantha: Ich hatte tolle Chefs während meiner Kochausbildung, die mich lehrten, immer alles zu verwerten und durch verschiedene Techniken Lebensmittel zu konservieren. Erst später ist mir aufgefallen, dass das leider nicht Standard ist. Die Wertschätzung für die Lebensmittel fehlt überall, auch in den Branchen, wo Leute mit Lebensmitteln arbeiten. Das erschreckt mich immer wieder. 

Camille: Für mich war ein Schlüsselerlebnis, als ich – durch einen Arbeitskollegen zu Robin Food gekommen – eine erste Abholung bei einem Grossverteiler übernehmen sollte. Ich hatte einen Veloanhänger dabei und dachte, dass sei sicher übertrieben. Aber dann standen dort drei riesige Säcke bereit, 90 Prozent davon wunderschöne Ware.

Was muss passieren? 

Samantha: Ich glaube, es muss im Kopf der Menschen beginnen. Wir müssen mehr in kleine Bio-Läden oder direkt bei den Bauern einkaufen gehen, wissen, was Saison ist, nur kaufen, was man wirklich braucht, sich mit Nachbarn vernetzen. Freunde von mir haben mir erzählt, sie hätten letzten Sommer, weil sie so viel Gemüse hatten, die Nachbaren eingeladen, ernten zu kommen, und niemand sei gekommen. Das finde ich tragisch. 

Camille: Meiner Ansicht nach braucht es auch noch mehr Engagement von den Grossverteilern:  dass sie zum Beispiel die Saisonalität in den Vordergrund stellen. Es gibt erste gute Ansätze gegen Foodwaste, aber das reicht noch nicht. 

Samantha: Manchmal ist es doch auch einfach die Faulheit, die Foodwaste verursacht. Dinge wie, im Laden auch das weniger perfekte Gemüse einzupacken, musst du ganz bewusst machen. Auch bei der Saisonalität ist das so, sonst lässt man sich all zu schnell verführen. In der Tagesschule, wo ich koche, fragen die Kinder zu jeder Jahreszeit nach Gurken. Dann erkläre ich ihnen, warum es sie bei mir nur dann gibt, wenn sie hier Saison haben. 

Camille: Das ist ein guter Ansatz: den Kindern möglichst früh einen Zugang zum Thema zu geben.  

Samantha: Ja, denn sie sind auch gute Botschafterinnen und Botschafter. Sie gehen nach Hause und erzählen. Oder umgekehrt. Einmal kam ein Kind zu mir mit einem Brief, in dem es ganz viele Nachhaltigkeitstipps für mich aufgeschrieben hatte. 

Interview: Janosch Szabo, hat in Privatgärten und bei Landwirten schon Früchte gerettet, als Foodsave noch nicht in aller Munde war. Er verarbeitet sie als «dr Konfimaa» und macht zudem seit Kurzem Ausstellungsführungen für Schulklassen in der Wanderausstellung «aus Liebe zum Essen» der gemeinnützigen Non-Profit-Organisation foodwaste.ch

Dieser Artikel erschien in der Vision 2035.